Arbeitsmarkt im Umbruch: Region Stuttgart sucht Antworten auf gegensätzliche Trends

Der Arbeitsmarkt steht im Wandel: Fachkräftemangel und Transformation fordern Politik und Wirtschaft zugleich. Beim Hearing in Stuttgart ging es um Vernetzung und regionale Zukunftsstrategien.

© WRS Bild Personalabbau & Fachkräftemangel – Arbeitsmarkt im Wandel, regionale Politik im Zugzwang zeigt Mann und Frau vor computersystem stehend und diskutierend, logos Fachkräfteallianz Region Stuttgart, wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH und Agentur für arbeit Stuttgart +3
Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel 09.10.25, Interview Frau Messerle, Sandra Authenrieth/WRS
© Uli Regenscheit FotografieWirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel 09.10.25, Vortrag Dr. Zika
Der Arbeitsmarkt verändert sich tiefgreifend. Beim politischen Hearing „Personalabbau & Fachkräftemangel – Arbeitsmarkt im Wandel, regionale Politik im Zugzwang” am 9. Oktober in Stuttgart wurde deutlich: Nur durch Vernetzung und vorausschauende Politik kann die Region den Herausforderungen von Transformation und Fachkräftemangel begegnen.

Personalabbau und Fachkräftemangel – zwei Begriffe, die eigentlich nicht zueinander passen und doch gegenwärtig zur gleichen Zeit auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten sind. Am 9. Oktober 2025 ging es bei der gleichnamigen Veranstaltung darum, den Zusammenhang zwischen diesen beiden Polen zu verstehen. Den Organisatoren des politischen Hearings, der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) und der Agentur für Arbeit Stuttgart im Rahmen der Fachkräfteallianz Region Stuttgart, war es ein wichtiges Anliegen, gemeinsame Lösungswege aufzuzeigen. In der Agentur für Arbeit in Stuttgart diskutierten sie zusammen mit Vertretern und Vertreterinnen aus Politik, Wirtschaft und Arbeitsmarktpolitik der Region Stuttgart.

Ziel der Veranstaltung war es laut Dr. Sabine Stützle-Leinmüller, WRS, aktuelle Themen der Fachkräftesicherung in den politischen Diskurs einzubringen und regionale Lösungsansätze bekannter zu machen. In erster Linie ging es um den Austausch verschiedener Akteure zu tiefgreifenden Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und die Erschließung politischer Stellschrauben. Die Region Stuttgart steht am Scheideweg zwischen Innovationskraft und Transformationsdruck, gemeinsames und zukunftweisendes Handeln ist entscheidend. Verstehen, Diskutieren, Impulse mitnehmen – die Idee für diese Pilotveranstaltung kam aus der Regionalversammlung und soll im nächsten Jahr mit weiteren Themen fortgesetzt werden.

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel 09.10.25 Begrüßung Frau Dr. Stützle-Leinmüller, Herr Schwab

Für Gunnar Schwab, Leiter der Agentur für Arbeit Stuttgart, ist die Vernetzung von Politik und Arbeitsmarktakteuren ein wichtiger Baustein, um den Strukturwandel in der Region Stuttgart erfolgreich zu gestalten. Beim politischen Hearing geht es deshalb nicht nur darum, die Situation am Arbeitsmarkt und die Herausforderungen der Transformation in der Wirtschaftsregion Stuttgart aufzuzeigen, sondern auch darum, Entscheider und Entscheiderinnen zusammenzubringen.

Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt

In einem inspirierenden Impulsvortrag ordnete Dr. Gerd Zika vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit aktuelle Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt ein. Hierfür stellte er Daten und Erkenntnisse aus dem Projekt QuBe („Qualifikation und Beruf in der Zukunft“) vor, das mittel- und langfristige Datenprojektionen zum Arbeitsmarkt erstellt. Auch Faktoren wie die Auswirkungen des Klimawandels, die Energie- und Mobilitätswende, der Welthandel oder der Einfluss digitaler Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) werden bestmöglich in die Projektionen integriert.

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel 09.10.25, Vortrag Dr. Zika

In Deutschland steigen 2025 die Arbeitslosenzahlen und -quote, während gemeldete Stellen und Beschäftigtenzahlen sinken. „Die größte Gefahr ist, dass die Arbeitslosigkeit nicht reduziert werden kann und gleichzeitig Fachkräftemangel besteht“, betonte Dr. Zika. „Die Zahl unserer Fokusberufe mit Engpässen wird stark zunehmen.“ Diese voraussichtliche Entwicklung des Arbeitsmarktes wird stark von der Demografie beeinflusst. Die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter sinkt kontinuierlich. Jedes Jahr stehen dem Arbeitsmarkt 200.000 weniger Personen zur Verfügung, da geburtenstarke Jahrgänge ausscheiden und die Zuwanderung den Alterungsprozess nicht ausgleicht. Bis 2029 gehen in Deutschland etwa 5 Millionen Personen in den Ruhestand. „Die Arbeitsmarktentwicklung ist also negativ, da das Neuangebot den Neubedarf nicht decken kann“, fasste Dr. Zika zusammen.

Regionale Prognosen

Ein Blick auf die Arbeitsmarktregion Stuttgart bis 2040 zeigt, dass es auch hier mehr Abbau als neu entstehende Stellen geben wird, 10,4 Prozent aller Arbeitsplätze sind betroffen. Abbauende Branchen sind das Baugewerbe, die öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung oder weiteres verarbeitendes Gewerbe. Eine neue Entwicklung ist in diesen Daten noch nicht berücksichtigt: das Sondervermögen von über 500 Milliarden Euro für Infrastruktur und Klimaneutralität, das mit der Grundgesetzänderung im März 2025 vom Bundestag beschlossen wurde. Branchen, die in der Arbeitsmarktregion Stuttgart mittelfristig mit hoher Wahrscheinlichkeit Beschäftigung aufbauen werden, sind Pflegeheime und das Sozialwesen, Architektur- und Ingenieurbüros oder IT- und Informationsdienstleister.

„Voraussichtlich steigen bis 2040 auch die Vakanzzeiten, was ein höheres Risiko einer erfolglosen Besetzung bedeutet“, so Dr. Zika. Betroffen sind laut ihm unter anderem Informatik-, Informations- und Kommunikationstechnologieberufe sowie Mechatronik-, Energie- und Elektroberufe. Sein Resümee: „Das Arbeitskräfteangebot wird schneller sinken als bislang gedacht, während der Strukturwandel auf allen Ebenen voranschreitet. Weiterbildung wird immer wichtiger, andernfalls besteht die Gefahr von hoher Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Auch der Gewinn von ausländischen Fachkräften nimmt an Bedeutung zu.“

Arbeitsmarktdrehscheiben als Schlüssel für Vermittlung

Um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, können Job-to-Job-Vermittlungen wie eine Arbeitsmarktdrehscheibe ein effektives Mittel sein. Unternehmen, die Stellen abbauen, vermitteln ihre Beschäftigten mit dieser Maßnahme an andere Unternehmen, die nach Personal suchen. Eléonore Diarra berichtet von ihren Erfahrungen bei der Robert Bosch GmbH, wo Mitarbeitende bei gleichzeitiger Lohnfortzahlung mit verschiedenen Bausteinen wie einem Bewerbungstraining, Jobcoaching oder einer Weiterqualifizierung begleitet werden, bis sie eine neue Stelle finden. Mit diesen Maßnahmen haben schon viele erfolgreiche Vermittlungen stattfinden können, so Eléonore Diarra; manche Mitarbeitende machten auch den Schritt in die Selbstständigkeit. Bosch ist Mitglied des Netzwerks „Allianz der Chancen“, das Unternehmen und Sozialpartner zusammenbringt, um an arbeitsmarktpolitischen Themen zu arbeiten – die Arbeitsmarktdrehscheibe ist eines davon.

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel 09.10.25 Bild Podium Diskussionsrunde 1

Auch Liane Papaioannou von der IG Metall Stuttgart sieht die Arbeitsmarktdrehscheibe als ein geeignetes Mittel, denn alles sei besser als Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig müsse man die Sorgen der Mitarbeitenden sehen: Selbst wenn eine Person bestmöglich unterstützt wird, ist sie verunsichert und hat Ängste, die bei Job-to-Job-Maßnahmen ernst genommen werden müssen. Auch sei es in manchen Fällen eine Möglichkeit, nicht gleich den Arbeitgeber zu wechseln, sondern etwa an einem anderen Firmenstandort zu arbeiten. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Region Stuttgart, Peter Friedrich, wies darauf hin, dass Transformation auch Investition brauche. Es werde zwar investiert, aber aktuell nicht beim deutschen Spezialmaschinenbau, Zulieferern oder dem Handwerk, die als Ausstatter der Industrie galten. Auch private Investitionen, zum Beispiel in energetische Dämmung, bleiben aktuell aufgrund eines Perspektivmangels aus.

Thorsten Würth von Südwestmetall betonte die Notwendigkeit einer doppelten Freiwilligkeit und ergänzte selbstkritisch die Perspektive einer gescheiterten Arbeitsmarktdrehscheibe des Verbands. Vermittlungen werden seiner Erfahrung nach dadurch erschwert, dass Stellen zwar extern vorhanden sein können, aber nicht immer mit den Skills oder beruflichen Wünschen der Mitarbeitenden vereinbar sind. Peter Friedrich berichtete von der Vermittlung von Beschäftigten von der Industrie ins Handwerk und der Schwierigkeit von teilweise unterschiedlichen Arbeitsweisen der neuen Mitarbeitenden. Einstellende Unternehmen haben nicht selten bestimmte Erwartungen und Ansprüche, die neu dazukommenden Beschäftigten erst beigebracht werden müssten. Auch solche Faktoren können den Erfolg der Arbeitsmarktdrehscheibe dämpfen.

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel09.10.25 Bild Dr. Verena Andrei, Welcome Service Region Stuttgart

Das Potenzial internationaler Fachkräfte

Bei der zweiten Diskussionsrunde des Tages, moderiert von Dr. Verena Andrei, Leiterin Welcome Center Stuttgart und Welcome Service Region Stuttgart, ging es um praktische Erfahrungen mit der Zuwanderung und Integration ausländischer Fachkräfte. Die Handwerkskammer Region Stuttgart, so Anette Groschupp, rekrutiert zum Beispiel aktiv Azubis für das Fleischerhandwerk aus Indien und hat Programme in Kolumbien und Usbekistan. Herausforderungen bei der Integration sind unter anderem der Wissenstand der neuen Auszubildenden – von Sprachbarrieren bis hin zu den für uns alltäglichen Dingen wie Zugfahrten –, aber auch Alltagshürden wie Bürokratie und Wohnraum. Für die einstellenden Unternehmen sind letztere zentrale Anliegen.

Petra Messerle von der Metzgerei Häcker und Messerle GmbH wünscht sich deshalb eine einfachere Kommunikation mit den Behörden und eine Paketlösung zur Vereinfachung bürokratischer Prozesse. Annette Groschupp forderte Regionalräte und Regionalrätinnen auf, sich für bezahlbaren Wohnraum einzusetzen. Betriebe hätten bereits absagen müssen, weil sie keine Wohnungen für die Azubis bezahlen können. Generell gelte: Je kleiner der Betrieb, desto schwieriger ist es, die Azubis on-the-Job zu begleiten oder ihnen anderweitig zu helfen.

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel09.10.25 Diskussionsrunde 2 Podium

Unterstützung von der Rekrutierung bis zur Integration vor Ort

Karin Nagel berichtete, dass die Apontis GmbH bereits Rekrutierungsprojekte mit Integrationsbegleitung anbietet. Die Fachkräfte werden im Ausland vorbereitet. Auch ihre Ankunft wird organisiert und eine Patenschaft besteht in den ersten sechs Monaten, um Betrieben beim Integrationsprozess zu helfen. Konkret helfen Mitarbeitende den Azubis bei Handyverträgen, Deutschlandtickets, Führerscheinen, Bankkonten und anderen Behördengängen. Auch Sprachkurse gehören für eine gelungene Integration dazu. Der Welcome Service Region Stuttgart unterstützt Unternehmen und internationale Fachkräfte: vom Rekrutieren über die Prozesse bis zum Ankommen und zur Integration vor Ort. Daneben gibt es weitere Unterstützungsangebote.

Die IHK Region Stuttgart übernimmt auch Beratungsaufgaben, um die Ausländerbehörde zu entlasten. Mit dem Unternehmensservice berät Sigrit Walsdorff Unternehmen zu Visumsfragen rund um die Einstellung ausländischer Mitarbeitende. Eine bessere Verzahnung der verschiedenen Stellen im Anmeldeprozess könnte laut Petra Messerle allerdings die Einstellung ausländischer Mitarbeitende deutlich beschleunigen und Unternehmen zusätzlich entlasten. Trotz der anfänglichen Probleme berichtete sie von sehr guten Erfahrungen mit den internationalen Azubis, da diese Fachkräfte oft höhere Abschlüsse haben und schnell in der Umsetzung sind, sobald sie eine Aufgabe oder einen Sachverhalt verstanden haben.

Fazit

Das Hearing hat gezeigt, dass trotz aller Herausforderungen der Schlüssel in Kooperation, Weiterbildung und gelebter Verantwortung liegt – dort, wo Menschen gemeinsam Lösungen suchen, entsteht Zuversicht für einen Arbeitsmarkt im Wandel.

Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH Veranstaltung Personalabbau und Fachkräftemangel 09.10.25 Foyer Agentur für Arbeit Stuttgart Gruppenbild

Die Fachkräfteallianz Region Stuttgart

Die Fachkräfteallianz hat das Ziel, regionale Innovation und Wirtschaftskraft zu sichern und darüber hinaus Menschen zu befähigen, Wandel aktiv mitzugestalten. Das bedeutet einerseits, Qualifizierung als Schlüssel zur Transformation zu erkennen und andererseits, die Integration internationaler Fachkräfte voranzutreiben sowie ungenutzte Potenziale auf dem Arbeitsmarkt zu aktivieren, darunter Frauen oder Ältere. Deshalb fördert die Fachkräfteallianz Region Stuttgart Vernetzung und Informationsaustausch, um eine Brücke zwischen Politik und wirtschaftlicher Realität, aber auch gesellschaftlicher Verantwortung zu bilden. Arbeitsagenturen, Sozialpartner, Kammern, Unternehmen und die regionale Wirtschaftsförderungsgesellschaft WRS arbeiten eng in einer lang bestehenden und verlässlichen Partnerschaft zusammen, um Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.

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Bilder: WRS/Uli Regenscheit/Uwe Janßen